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LAG Köln: Fehlender Bedarf beim Entleiher kann zu Minusstunden auf Arbeitszeitkonto führen


15.05.2018

Besprechung der Entscheidung des LAG Köln vom 17.01.2018, Aktenzeichen 3 Sa 831/16

 

Themen: Arbeitnehmerüberlassung und Leiharbeit / Arbeitszeitkonten

Tenor der Entscheidung: Wenn ein Leiharbeitnehmer „fest“ an einen Entleiher überlassen wird, ohne dass die Möglichkeit zu einem anderweitigen Einsatz besteht, besteht seitens des Verleihers eine Berechtigung, das für den Leiharbeitnehmer eingerichtete tarifliche Arbeitszeitkonto mit Minusstunden zu belasten, wenn der Arbeitnehmer vom Entleiher mangels Bedarfs nicht eingesetzt wird. Anders verhält es sich nur in den sogenannten verleihfreien Zeiten, da ein eingerichtetes Arbeitszeitkonto nicht dazu eingesetzt werden darf, dass vom Verleiher zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Leiharbeitnehmer, unter Umgehung von § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG, abzuwälzen.

 

Der Grundsatz: Die gesetzliche Regelung des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG schließt aus, dass das Recht des Leiharbeitnehmers auf Zahlung seiner Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden darf. Der Grundsatz, dass der Arbeitnehmer auch dann seinen Lohn verlangen kann, wenn der Dienstberechtigte (also im Regelfall der Arbeitgeber) mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug gerät (die tatsächliche Arbeitsleistung also nicht in Anspruch nimmt), ist in § 615 Satz 1 BGB geregelt. § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG schließt aus, dass bei einem Leiharbeitnehmer die Regelung des § 615 Satz 1 BGB vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt wird. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass derjenige, der Arbeitnehmer verleiht auch das Risiko trägt, dass diese Arbeitnehmer beschäftigt werden. Für den Fall dass eine Beschäftigung der verliehenen Arbeitnehmer nicht erfolgt, besteht das gesetzliche Verbot, das Risiko der Nichtbeschäftigung auf den Arbeitnehmer abzuwälzen.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung des LAG Köln: Der Streit zwischen den Parteien besteht darüber, ob die beklagte Arbeitgeberin berechtigt ist, das Arbeitszeitkonto des Klägers mit Minusstunden zu belasten. Dieser ist bei der Beklagten Arbeitgeberinnen seit dem 05.01.2015 beschäftigt und als Leiharbeitnehmer durchgehen an einem Flughafen in der Flugzeugabfertigung eingesetzt. Die Tarifverträge der Zeitarbeit zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Personaldienstleister e.V. (BAP/BZA) und der DGB-Tarifgemeinschaft finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

Für den Kläger ist gemäß § 4 des MTV BZA ein Arbeitszeitkonto eingerichtet. Gemäß dem Vertrag beträgt seine Mindestarbeitszeit 130 Stunden. Im Mai 2015 arbeitet der Kläger 68,25 Stunden, im Juni 2015 103,42 Stunden. Es bestand somit eine Differenz von der geleisteten Arbeitszeit zur geschuldeten Arbeitszeit in Höhe von insgesamt 88,33 Stunden. Diese erfasste die beklagte Arbeitgeberin als Minusstunden im Arbeitszeitkonto des Klägers. In der 1. Jahreshälfte 2015 zeigten sich bei den vom Entleiher geforderten Arbeitszeiten erhebliche Schwankungen. Diese Schwankungen bestanden sowohl für die Stammbelegschaft des Entleihers, als auch für das Drittpersonal. Bedingt waren die Schwankungen durch rückläufige Fluggastzahlen.

Der klagende Leiharbeitnehmer verlangt die Gutschrift der abgezogenen Minusstunden. Das Arbeitsgericht hat die Klage im überwiegenden Umfang abgewiesen. Auch mit der Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht Köln hatte dieser keinen Erfolg. Jedoch wurde vom Landesarbeitsgericht Köln die Revision gegen das Urteil zugelassen.

 

Die Entscheidung des LAG Köln: Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Köln hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gutschrift von 88,33 Arbeitsstunden. Das Landesarbeitsgericht vertritt die Auffassung, dass die Beklagte die Minusstunden gemäß § 4.2 MTV BZA mit Rechtsgrund in das Arbeitszeitkonto des Klägers als Minusstunden eingestellt hat. Dabei verstoße die Berücksichtigung der Minusstunden des Klägers im Arbeitszeitkonto nicht gegen das AÜG.

Eingangs wurde bereits der Grundsatz festgestellt, dass gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG kann das Recht des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden. Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass eine Abwälzung des vom Verleiher zu tragenden Beschäftigungsrisiko auf den Leiharbeitnehmer nicht stattfindet.

Das Landesarbeitsgericht Köln ist in seiner Entscheidung vom 17.01.2018 der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insoweit gefolgt, als es festgestellt hat, dass insbesondere die Einführung eines Arbeitszeitkontos nicht dazu genutzt werden darf, die Regelung des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG zu umgehen. Entsprechend sind Regelung unwirksam, die es dem Verleiher ermöglichen, in verleihfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, vergleiche Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.04.2014, Aktenzeichen 5 AZR 483/12; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.12.2014, Aktenzeichen 15 Sa 982/14.das Landesarbeitsgericht Köln schließt sich dieser Rechtsprechung ausdrücklich an.

In dem hier zu entscheidenden Fall war das Landesarbeitsgericht Köln allerdings der Ansicht, dass gerade kein Verstoß gegen § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG vorläge, denn anders als in den vom Bundesarbeitsgericht und dem vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu entscheidenden Sachverhalten hat die Beklagte keine sogenannten verleihfreien Zeiten zulasten des Klägers auf dessen Arbeitszeitkonto berücksichtigt. Nach Ansicht des LAG Köln war der Kläger im streitbefangenen Zeitraum „fest“ an den Flughafen überlassen. Denn die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Beklagten und ihrem Kunden sahen vor, dass die entleihen der Flughafengesellschaft über den Kläger jedenfalls im Umfang seiner vertraglich geschuldeten Mindestarbeitszeit uneingeschränkt verfügen kann. Aus diesem Grund bestand seitens der Beklagten keine Möglichkeit, den Kläger an Zeiten, in denen er vom Kunden nicht eingesetzt wurde anderweitig zu verleihen. Hieraus folge, dass es sich bei den Minusstunden aus den Monaten Mai und Juni gerade nicht um verleihfreie Zeiten gehandelt habe.

Die Beklagte verlagere durch die Einstellung solcher Minusstunden in das Arbeitszeitkonto des Klägers nicht unzulässigerweise dass ihr grundsätzlich zukommende Beschäftigungsrisiko auf den Kläger. Es realisiere sich vielmehr lediglich das allgemeine Beschäftigungsrisiko im Betrieb des Entleihers, dass gerade durch die Regelung des Arbeitszeitkontos aufgefangen werden soll. Somit sei der Kläger bei den entstandenen Minusstunden in gleicher Weise betroffen, wie die Stammbelegschaft des Entleihers, für die bei entsprechender Vereinbarung eine Einstellung solcher Minusstunden in Arbeitszeitkonten rechtlich unbedenklich wäre. Aus diesem Grund sah das Landesarbeitsgericht Köln die Berufung des klagenden Leiharbeitnehmers als unbegründet an und wies diese zurück.

Darüber hinaus war das Landesarbeitsgericht Köln auch noch der Ansicht, dass durch die tarifliche Arbeitszeitkontenregelung in § 4 MTV BZA keine unverhältnismäßige Belastung des Klägers entstehe, obwohl der Tarifvertrag keine Begrenzung im Bereich der Minusstunden vorsähe. Es sei zwar denkbar, dass bei einem Fest verliehenen Arbeitnehmer und entsprechend geringem Einsatz dieses Arbeitnehmers durch den Entleiher über einen längeren Zeitraum ein erheblicher Minussaldo auf dem Arbeitszeitkonto entstünde, dennoch sei dieser Umstand unbedenklich, da das Konto im fortbestehenden Arbeitsverhältnis gemäß § 4.4 MTV BZA spätestens nach 12 Monaten auf null gesetzt wird und anderenfalls bei Ausscheiden des Arbeitnehmers Minusstunden nur bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers, sowie bei einer außerordentlichen Kündigung im begrenzten Umfang von 35 Stunden berücksichtigt werden.

Analyse: die Entscheidung des LAG Köln vom 17.01.2018, Zeichen 3 Sa 831/16, ist mit einiger Skepsis zu betrachten. Da der hier zu entscheidenden Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt, hat das Landesarbeitsgericht Köln zu Recht die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es ist nach Ansicht des Verfassers davon auszugehen, dass die Entscheidung in der Revision abgeändert wird. Denn es besteht wie eingangs erwähnt eine klare gesetzliche Regelung, die es verbietet, den Anspruch des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers aufzuheben oder zu beschränken. In Fällen, in denen der Arbeitnehmer nicht mit der mindestens zu leistenden Arbeitszeit an einen Entleiher entliehen ist, sieht die Rechtsprechung diese gesetzliche Regelung als zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht an.

Weshalb eine andere Behandlung eines Leiharbeitnehmers, der mit der mindestens zu leistenden Arbeitszeit an einen Entleiher entliehen ist, erfolgen soll, als bei einem Leiharbeitnehmer, bei dem das nicht der Fall ist, erschließt sich nicht. Zwar ist dem Landesarbeitsgericht Köln insoweit beizupflichten, als dass die beklagte Arbeitgeberin im Umfang der mindestens zu leistenden Stunden eine anderweitige Verleihung des Arbeitnehmers nicht hätte vornehmen können. Allerdings ergibt sich aufgrund der hier getroffenen Entscheidung ein enormes wirtschaftliches Risiko für den Leiharbeitnehmer. Letztlich trägt ein Leiharbeitnehmer, der im Umfang der mindestens zu leistenden Stunden an einen einzigen Entleiher entliehen ist, dass volle Beschäftigungsrisiko. Gerade das Tragen dieses Beschäftigungsrisikos, soll aber durch die gesetzliche Regelung ausgeschlossen werden.

Gerade die Feststellungen hinsichtlich der angeblich nicht bestehenden, unverhältnismäßigen Belastung des Klägers, erscheinen geradezu abstrus. Würde man der Ansicht des LAG Köln folgen, könnte der Leiharbeitnehmer über einen erheblichen Zeitraum unter seiner geschuldeten Arbeitszeit bleiben, die der Verleiher dem Leiharbeitnehmer entsprechend abziehen könnte. Hieraus würde sich ein für den Leiharbeitnehmer nicht überschaubares und für die Zukunft nicht planbares, wirtschaftliches Risiko ergeben.

Letztendlich hinge das beim Verleiher eingerichtete Arbeitszeitkonto vollständig davon ab, ob der Entleiher dem Leiharbeitnehmer genügend Arbeit zuweisen könnte. Wäre dies nicht der Fall, würde eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Belastung des Arbeitnehmers eintreten. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Köln, ändert auch die Regelung im MTV BZA, dass das Arbeitszeitkonto nach 12 Monaten auf null gesetzt wird, hieran nichts. Denn in der Zeit bis zur Zurücksetzung des Arbeitszeitkontos, wäre der Leiharbeitnehmer in der Falle der Nichtbeschäftigung „gefangen“. Denn zum einen könnte er nicht an einen anderen Betrieb verliehen werden, da er seine Mindestarbeitszeit dem Entleiher Schulden würde, der nicht genug Beschäftigung für diesen hätte. Zum anderen würde er aber beständig Minusstunden im Arbeitszeitkonto aufbauen, die den Leiharbeitnehmer wirtschaftlich belasten würden, ohne dass dieses für ihn planbar oder zu verhindern wäre.

Die Entscheidung ist daher insgesamt nach Ansicht des Verfassers nicht tragbar, da sie zwar die einschlägigen gesetzlichen Regelungen erkennt, die Anwendung dieser gesetzlichen Regelungen dagegen nicht ordnungsgemäß erfolgt. Zwar besteht aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses kein direkter Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen. Mittelbar liegt jedoch eine Benachteiligung einer bestimmten Gruppe von Leiharbeitnehmern vor, die der Gesetzgeber so nicht gewollt hätte und bei der Formulierung des Gesetzestextes eventuell nicht bedacht hat. Richtigerweise hätte somit eine analoge Anwendung der Regelungen des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG auf das hier bestehende Arbeitsverhältnis erfolgen müssen.

 
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